Da kannte ich mal ein Paar – sie waren glücklich verheiratet und hatten eine BMW R 60. Nach einem langen Urlaubssommer war da einiges zu machen, und man beschloß eine Generalüberholung. Da man jedoch nur eine kleine Garage ohne Licht und Heizung weitab von der Wohnung und ohne Raum für Arbeiten hatte, und weil man selbst in einem großen Mietshaus im siebten Stock unterm Dachjuchhe wohnte, war guter Rat teuer. Denn in eine Werkstatt kam das gute Stück aus Prinzip nicht.
Zu Hilfe kam das Fernsehen! Seit Wochen war in den Programm-Zeitschriften ein großer Kriminalfilm in mehreren Fortsetzungen angekündigt worden – nach einem berühmten Roman eines noch berühmteren Schriftstellers. Da sagte er zu ihr: „Weißte was? Wenn der Film ‚Melissa’ läuft, dann hört kein Mensch im ganzen Mietshaus, was draußen im Treppenhaus passiert – dann schaffen wir unseren Brummer rauf in die Küche.“ Und so geschah es. Am Montag war der erste Teil – die beiden trugen Sitzbank, Tank, Räder und Kotflügel über die dunkeln Treppen in den siebten Stock. Mittwochs war der zweite Teil des Filmes – die beiden schleppten den ausgebauten Motor samt Getriebe, Hinterradantrieb usw. nach oben. Sonnabends war der letzte Teil – und so wanderten der Rahmen und der ganze Rest hinauf unters Dach.
Dort hub nun abends ein emsiges Arbeiten an. Der Motor wurde sauber zerlegt, alles erneuert, was Verschleißspuren zeigte. Es wurde nichts vergessen, und in den Räumen der kleinen Wohnung wurden alle ausgebauten Teile versteckt. Nichtmal vorm Wäscheschrank machte man Halt, denn man wollte natürlich keine Schererein haben, wenn der Hausverwalter mal in das geheimnisvolle Treiben einbrach.
So vergingen einige Wochen, bis alles wieder in Ordnung gebracht und zusammengeschraubt war. Der Rahmen glänzte im neuen Lack, der Motor sah aus wie neu, das Unternehmen war glänzend gelungen. Aber es blieb das Problem des Rücktransportes. Man studierte das Fernsehprogramm.
In zwei Wochen sollte ein Fußball-Länderspiel sein. Aber das würde natürlich nur etwas länger als anderthalb Stunden dauern und nur einmal über den Bildschirm flimmern. Das war ungeeignet. Warten.
Als das neue Programmheft kam, herrschte eitel Freude und Sonnenschein: es wurde wieder ein Fernsehspiel des berühmten Schriftstellers in drei Fortsetzungen angekündigt. Man diskutierte eifrig mit den Nachbarn und machte jedem klar, daß man einen solchen Film auf keinen Fall versäumen dürfe. Am Montag gab es den ersten Teil – überall in den Wohnungen saßen die Leute vor dem „Tellewischen“, und im Treppenhaus war es dunkel und einsam. Sie schleppten den Rahmen hinunter. Am Mittwoch gab es den zweiten Teil – da brachten sie Motor und die Getriebeteile in die Garage. Am Sonnabend abend kam der letzte Teil des Films – da wurden die Räder und der ganze Rest weggeschafft. Eine Woche darauf lief die BMW wieder in ganz neuem Glanz.
Die beiden hatten es gut getroffen, aber ich kenne einen, dem bei einer ähnlichen Unternehmung die Kriminalpolizei in die Wohnung kam. Er hatte seine Norton in der Küche wieder auf Vordermann gebracht, und die ganze Familie hatte geholfen. Natürlich ging das nicht ohne Geräusche ab, und auch nicht ohne ein wenig Geheimniskrämerei. Denn man brauchte ja den Nachbarn im Mietblock nicht gerade auf die Nase binden, daß man in der Wohnung ein komplettes Motorrad betreute. Aber die Nachbarn waren neugierig und mißtrauisch. Wer schon ein raubiges Motorrad besitzt, der ist doch schon mal verdächtig. Und dann rasselt, klappert, brummt und klopft es in der Wohnung auch so oft, und wenn man klingelt und in die Wohnung will, dann rennen sie zuerst darin so komisch umeinander, und neulich öffnete die Oma mit ganz schwarzen Fingern die Tür.
Also, das stimmt etwas nicht.
Der Zufall wollte es wohl so, daß in diesem Landstrich die Polizei nach einer Falschmünzerwerkstatt suchte. Und – muß ich den Fortgang der Geschichte wirklich weitererzählen?
Eines Abends klingelte es an der Tür. Schlagartig hörte die Geschäftigkeit in der Küche auf, es wurde still, nachdem man noch hören konnte, wie irgendein Möbelstück oder sonst irgendetwas über den Boden geschoben wurde. Da es lange dauerte, klingelte es noch einmal. Die Oma öffnete die Tür und schaute hinaus.
Zwei Männer standen draußen. „Dürfen wir eintreten? Wir kommen von der Kriminalpolizei.“ Oma lächelte und sagte sehr freundlich: „Aber bitte, die Herren! Kommen Sie herein. Hier bitte.“ Sie führte die beiden in das Wohnzimmer.
„Ist der Hausherr daheim?“ fragte der eine Mann und machte eine amtliche Miene. „Natürlich“, sagte Oma und holte ihrem Schwiegersohn. „Was gibt es denn?“
„Wir müssen leider Ihre Wohnung durchsuchen“, sagte der eine und holte ein amtliches Papier aus der Brieftasche. „Bitte sehr“.
Man führte die Herren überall herum, und schließlich kam man in die Küche. In der Ecke hinter dem Besen-Vorhang lehnte die Gabel der Norton. Blitzblank und sauber. „Was ist das?“ fragte der eine Beamte. „Das ist die Vorderradgabel meines Motorrades“, sagte unser Motorradfahrer. „Und hier sind die anderen Teile, meine Herren“. Und damit öffnete er die Tür zur Speisekammer.
„Ein Motorrad?“ fragte der Kriminalist. „Was machen sie denn damit?“ „Das repariere ich in Einzelteilen.“
„Was ist denn das für eine Maschine?“ wollte der andere wissen. „Das ist eine Norton-Dominator 99!“ sagte der Motorradfahrer und lachte.
Die Geschichte endete gut, nur die Nachbarn waren unbefriedigt. Sie rätseln noch heute darüber nach, warum die beiden Kriminaler so lange in der Flaschmünzer-Wohnung waren, warum sie schließlich lachend wieder weggingen und noch auf der Straßen sagten: „Junge, Junge – was muß die Maschine hergeben, wenn sie fertig ist. Das macht denen keiner nach.“
Hatten sie gesagt – ganz bestimmt – ganz laut – durchs ganze Treppenhaus – alle hatten es gehört.
Es ist auch unglaublich, was alles die Mitmenschen um uns herum immer von den Motorradfahrern denken.

(Ein Ausschnitt aus: Die schönsten Motorradgeschichten von Ernst Leverkus, 8. Auflage 1998, Paul Pietsch Verlage, Stuttgart, Seite 181-184, ISBN 3-613-01891-8)

Mit freundlicher Genehmigung von Frau Leverkus und der Paul Pietsch Verlage


   
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